Sozialdemokratie und Jungwähler

Besteht doch noch Hoffnung für die Sozialdemokratie? Oder sind die FDP und Grüne die Volksparteien der Jungwähler:innen? Bevor wir uns vorschnell dem Pessimismus hingeben, sollten wir einen genauen Blick auf die politischen Einstellungen der jungen Generation werfen. Denn hier könnte sich ein Silberstreif am Horizont abzeichnen.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat kürzlich eine bemerkenswerte Studie veröffentlicht, die genau das tut: Sie untersucht die politischen Einstellungen junger Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren. Die Studie bietet einen Einblick in die Gedanken und Gefühle dieser jungen Wähler:innen, ihre Sorgen, Hoffnungen und Erwartungen an die Politik.

In diesem Blogartikel möchte ich die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie zusammenfassen und diskutieren. Dabei werde ich mich insbesondere auf die Aspekte konzentrieren, die für uns als Sozialdemokratie von besonderem Interesse sind. Welche Hoffnungen und Ängste haben die jungen Menschen? Wie sehen sie die Sozialdemokratie? Und vor allem: Was können wir tun, um sie zu erreichen und zu überzeugen?

Die vollständige Studie ist hier abrufbar. Ich lade Euch ein, mit mir auf diese spannende Reise in die politische Landschaft der jungen Generation zu begeben. Denn eines ist klar: Die Zukunft der Sozialdemokratie liegt in ihren Händen.

Methodik

Die Methodik liest sich ganz gut: Über 4000 Teilnehmer:innen wurden quantitativ durch infratest dimap befragt, sowohl telefonisch als auch online. Auf Basis dieser Daten wurden thematische Schwerpunkte für eine qualitative Vertiefung festgelegt. Kantar Public führte dann neun Fokusgruppen durch, die online von Politik- und Sozialforscher:innen moderiert wurden. Diese Fokusgruppen dienten dazu, die quantitativen Ergebnisse zu vertiefen und besser zu verstehen.

Kollektive Beunruhigung?

Interessant erscheint das dritte Kapitel: Die jungen Menschen (74% zu 19%) sind ebenso beunruhigt über die Verhältnisse in Deutschland wie die wahlberechtigte Gesamtbevölkerung (69% zu 24%). Krisen von der Coronapandemie bis zum Krieg in der Ukraine sind omnipräsent. Im Kontrast zur Bewertung der Verhältnisse in Deutschland steht die Einschätzung der eigenen Lebenssituation, 85% sind mit der eigenen Lebenssituation zufrieden, im Mittel wird der Wert 7,3/10 angegeben. Kognitive Dissonanz?

Klarer Ausreißer nach unten ist bei der Zufriedenheit allerdings die finanzielle Situation. Hier sind nur gut 60% über dem Skalenmittelpunkt. Das schlägt auch in der Wertorientierung durch: Finanzielle Sicherheit steht an erster Stelle. In der qualitativen Befragung zeigt sich, dass hier die Inflation voll durchschlägt, zeitgleich aber auch Altersarmut bei den Jungwählern eine große Sorge ist.

Politische Orientierung

Politisch verorten sich die Jungwähler leicht links der Mitte, ebenso wie wohl auch die Gesamtbevölkerung. Geht es aber an die bestimmten Themen, so ist die Einordnung allerdings nicht ganz so kongruent: Linke Position wie die Förderung der Gleichberechtigung, Investitionen in den Klimaschutz und höhere Besteuerung hoher Einkommen bei Entlastung niedrigerer Einkommen sind deutlich mehrheitsfähig, zeitgleich findet sich aber auch eine Mehrheit für die Einhaltung der Schuldenbremse. Und 49% sind der Ansicht, dass die Einwanderung nach Deutschland stärker begrenzt werden sollte – nur in den Großstädten ist eine Mehrheit (56%) gegen eine Begrenzung der Einwanderung.

Und wer ist die Partei der Mitte? Auf der Skala 0-10 können alle Parteien eingruppiert werden. Die Linke klar links (1,2), Grüne bei 3,3, SPD bei 4,0, FDP bei 5,0, CDU bei 5,6, CSU bei 5,9 und AfD bei 8,7. Wobei die Links-Rechts-Selbsteinstufung bei durchschnittlich 4,5 liegt und sich die Parteianhänger aller Parteien immer leicht mittiger sehen als die präferierte Partei. Streuungsmaße werden leider nicht mit angegeben, es ist fraglich, welche Schlüsse man aus diesen Zahlen schließen kann.

Die qualitative Befragung klingt da schon interessanter: Es können inhaltlich kaum die Unterschiede zwischen den Parteien ausgemacht werden. Dafür werden die Themen häufig als wenig ansprechend bezeichnet und eine Orientierung an den älteren Wähler:innen festgestellt. Von der Außendarstellung und Kommunikation der Parteien fühlen sich die Teilnehmenden wenig angesprochen und abgeholt.

Und so wird auch die Mitgliedschaft in einer Partei als unattraktiv beschrieben und die Identifikation mit den Parteien als gering angeführt. »Die Jungwähler:innen befinden sich zudem in einer Lebensphase, in der die Ausgestaltung ihres eigenen Lebens Priorität besitzt und gesellschaftliche Themen tendenziell in den Hintergrund treten. Da mit der Parteimitgliedschaft ein hoher Zeitaufwand verknüpft wird, scheint die Vereinbarkeit mit der eigenen Lebenswelt kaum möglich.« (S. 25)

Die SPD: alt, aber sympathisch

»Die SPD wird von den Jungwähler:innen meist als eine erfahrene und soziale Partei wahrgenommen, die zentrale Probleme der Gesellschaft aufgreift und sich besonders für soziale Gerechtigkeit, Bildung, Rente, Wohnen oder die Rechte von Arbeitnehmenden und Ausländer:innen einsetzt. Dabei ist die SPD aus Sicht der meisten Teilnehmenden allerdings noch nicht in der aktuellen Zeit angekommen. Häufig wird zudem ein klares Parteiprofil vermisst, das der SPD einen einzigartigen Charakter geben würde. Die grundsätzlichen Werte und Ziele der Partei werden jedoch positiv betrachtet, wodurch die Partei auch als grundlegend wählbare Option betrachtet wird, jedoch orientiere sich die SPD in der konkreten Umsetzung ihrer Ziele eher an der älteren Bevölkerung und gehe damit an den Bedürfnissen und der Lebenswelt junger Menschen vorbei. Somit erscheint die SPD in der Regel zwar grundsätzlich sympathisch aufgrund ihrer Tradition und Inhalte, gleichzeitig erscheint sie jungen Menschen als oftmals veraltet und wenig offen für Neues. Zudem wird die Umsetzung von inhaltlichen Zielen teilweise als zu verkopft und im Ergebnis als mangelhaft kritisiert. Die Jungwähler:innen vermissen Nahbarkeit, Jugendlichkeit und Lockerheit.« (S. 26)

Berührungspunkte mit der Politik

Politik auf Social Media kann funktionieren, ist aber nicht unbedingt einfach: Instagram und TikTok werden besonders viel verwendet, wobei auf TikTok die Akzeptanz politischer Inhalt recht ambivalent ist. Wichtig sind kurze und verständliche Beiträge, für Interesse sorgen Überschrift und Titelbild. Die Themen müssen konkret sein und das eigene Leben betreffen. Zeitgleich ist ebenfalls der authentische und humorvolle Auftritt wichtig.

Politische Talkshows sind nur vor den Wahlen von Interesse. Und Infostände sind gar nicht beliebt: »Um Infostände von Parteien machen die Teilnehmenden weitestgehend einen Bogen. Zum einen besteht die Sorge eines aggressiven Werbeversuchs der Parteien, zum anderen erscheint die Konfrontation mit einer politisch deutlich überzeugteren und versierteren Person teilweise bedrohlich. Die seltenen Erlebnisse aus der Vergangenheit mit Personen an Parteiständen sind hauptsächlich in negativer Erinnerung. Die Parteimitglieder wirkten zwar freundlich, aber gleichzeitig sehr glatt, aufgesetzt, teilweise lustlos und unauthentisch, sodass kein tiefgründiger Austausch möglich war.« (S. 33)

Aber auch, und insbesondere mit steigendem Alter, sind die persönlichen Gespräche im Alltag ein regelmäßiger Berührungspunkt mit der Politik.

Wahlmotive

Häufigstes Wahlmotiv ist auch bei den Jungwählern die inhaltliche Position – laut Umfrage. Das ist insofern überraschend, als dass ja die Zuordnung von Positionen zu den Parteien recht schwer fällt. Fragt sich, wo hier das Problem liegt: Ist die Kommunikation der Parteien nicht prägnant genug in der Vermittlung der Positionen? Oder sind die anderen Aspekte Problemlösungsfähigkeit der Partei (82 Prozent), ihre Regierungsfähigkeit (76 Prozent) sowie das eigene Bauchgefühl (72 Prozent). Koalitionsbündnisse (62 Prozent), Spitzenkandidat:in (51 Prozent), affektive Parteinähe (39 Prozent) und schließlich das Wahlverhalten des Umfelds (26 Prozent) doch relevanter?

Gerade das Wahlverhalten und die Bedeutung der Wahlmotive konnten in dem Paper kaum schlüssig erklärt werden.

Auch und insbesondere für die SPD in der Regressionsanalyse werden die Wahlmotive nicht deutlicher, was allerdings auch für eine höhere Heterogenität der Wählerschaft spricht.

Potenziale

Schließlich fragt die Studie noch die Wähler:innenpotenziale ab. Dabei kommt eine Überraschung zutage: Das Potenzial der SPD (39%) ist ähnlich hoch wie jenes der Grünen (41%), dass die Partei jemals bei einer Bundestagswahl gewählt wird. Das sind vor CDU/CSU (33%), FDP (30%), Linke (21%) und AfD (15%) die Top-Werte, bei zeitgleich niedrigstem Wert dafür, dass die Partei auf keinen Fall jemals gewählt werden wird (15%, im Vergleich Grüne bei 28%). Was positiv für die SPD klingt, heißt im Umkehrschluss allerdings auch, dass ein massives Ausschöpfungsproblem bei den Jungwähler:innen besteht.

Und nu?

Viele Daten, Zahlen, Fakten – wenngleich sich leider kaum eine kritische Einordnung von einigen der Zahlen findet. Dafür eine ganze Reihe an Empfehlungen, die jetzt auch nicht unbedingt neu sind. In meinen Augen sticht aber doch einiges hervor:

  1. Konkrete Politik: Es ist wichtig, dass wir uns auf konkrete Politik konzentrieren, die die Lebensrealität der jungen Menschen widerspiegelt. Es sind nicht nur die Häuslebauer, die Angst vor der (Finanzierung der) Wärmepumpe haben, es sind die jungen Menschen, die sich kaum Essen und Miete leisten können. Unsere Politik muss Lösungen für diese Probleme bieten.
  2. Passendes Personal: Die jungen Wähler:innen sehnen sich nach authentischen, jungen Gesichtern, die sie repräsentieren können. Wir müssen sicherstellen, dass wir solche Personen in unseren Reihen haben und sie fördern.
  3. Beteiligungsmöglichkeiten schaffen: Die Studie zeigt, dass die jungen Menschen sich engagieren wollen, aber oft nicht wissen, wie. Der traditionelle Ortsverein ist hier nicht die erste Anlaufstelle. Wir müssen neue, attraktive Beteiligungsmöglichkeiten schaffen und das Engagement der jungen Menschen wertschätzen.
  4. Kommunikation schärfen: Unsere Kommunikation muss prägnanter und zielgerichteter sein. Die jungen Menschen haben Schwierigkeiten, die Unterschiede zwischen den Parteien zu erkennen. Wir müssen klarer kommunizieren, wofür wir stehen und was uns von den anderen Parteien unterscheidet. Natürlich insbesondere online, Instagram ist da ein Muss, TikTok die Kür.
  5. Werte der Partei sympathisch: Trotz aller Kritikpunkte zeigt die Studie, dass die jungen Menschen unsere grundlegenden Werte und Ziele sympathisch finden. Das ist eine gute Ausgangsbasis, auf der wir aufbauen können. Dabei nicht vergessen: Wir werden eingeordnet als die Partei, die knapp links der Mitte steht. Die Grünen beispielsweise deutlich weiter links. Das hört sich in so manchem innerparteilichen Diskurs anders an.
  6. Junge Menschen wünschen sich langfristige Politik. Vielleicht liegt es an der Sozialisation in den vielen (medialen) Krisen, in denen „die Politik“ nur reagieren konnte, vielleicht liegt es an langfristigen Entwicklungen wie der demografischen und der klimatischen: Junge Menschen möchte Politik, die langfristig agiert.

Und natürlich nicht vergessen: Wir haben bei den jungen Menschen Nachholbedarf. Auch junge Menschen wissen, dass andere Wähler:innengruppen größer sind. Aber ein Großteil der Empfehlungen sind für alle anderen Gruppen ebenso relevant. Es gibt auch keinen wirklichen Generationenkonflikt.